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Heft 23: Die Welt spielt

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Heft 23
 
Februar 2010 Schwerpunkt: Die Welt spielt
 
  • Paul Brutsche: Das Runde muss ins Eckige | Faszination Fußball
  • Frank Rumpf: Manndeckung
  • Margarete Leibig: Kinder am Ball | Nachwuchsförderung bei der TSG 1899 Hoffenheim
  • Ursula Bernauer: Auf Leben und Tod | Das Ballspiel der Maya
  • Albert Wucherpfennig: Zurück zum Homo Ludens, aber wie?
  • Bert Theodor te Wildt: Von Avataren und Archetypen im Cyberspace
  • Anke Seitz: Erster!!! Die Bedeutung des Wetteifers im Spiel des Lebens
  • Annette Kuptz-Klimpel: Spielende Begegnung: Interaktion in der Eltern-Kind-Beziehung
  • Maretta Steigenberger: Spiel im Spiegel von Gedichten

    FÜR SIE GELESEN:
  • Anette Müller: Das Rote Buch

    FÜR SIE GESEHEN
  • Dieter Volk: Don Juan de Marco | Ein Spiel um Eros und Fantasie
  • Bernd und Margarete Leibig: Er will ja nur spielen (Glosse)
Editorial:

Liebe Leserinnen und Leser,

Die Welt spielt, und das tut ihr gut - so erlebten viele vor fast vier Jahren die Fußballweltmeisterschaft in Deutschland. Es schien wie ein Sommer-Märchen: DieWelt war zu Gast in Deutschland und feierte bunte, laute, fröhliche Weltspiele, wie vom olympischen Geist der Völkerverständigung und des Friedens getragen. „Das sind moderne Gottesdienste“, hörten wir Kollegen nachdenklich sagen.

Agon, es bedeutet Wettkampf; Alea, das ist der Zufall; Mimikry, also Maskierung und Ilinx, der Rausch, die Ekstase: Das sind laut Roger Caillois, französischer Soziologe, die zentralen Prinzipien des Spiels. Ihnen allen begegneten wir in furiosen Mischungen in diesen „besonderen“ Wochen 006. Und so ist es kein Zufall, dass wir das erste Heft des Jung-Journals im Jahre 010 dem Spielen in der Welt widmen, finden doch in diesem Jahr erneut „Weltspiele“ statt: die Olympischen Winterspiele in Kanada, die Fußballweltmeisterschaft in Südafrika.

Weltspiele im Sport haben lange Tradition. 776 v. Chr. sind die ersten Olympischen Spiele bezeugt. Es waren Spiele zu Ehren der Götter. Frieden musste herrschen, solange sie dauerten. Kraft, Schönheit und Erotik des menschlichen (damals männlichen) Körpers und des Sieges faszinierten und bewegten offenbar schon damals. Allerdings zählte im Altertum nur der Sieg; Silber- und Goldmedaille waren noch nicht erfunden. Und es wird vermutet, dass auch damals bereits vielerlei Tricks eingesetzt wurden, um den begehrten Lorbeer zu bekommen.

Natürlich gehören auch Schmerz und Verletzung, Kränkung, Scheitern und sogar Tod zu den unvermeidlichen Schattenseiten von Sport und Spiel. Glück, Geheimnis, Spannung, Tanz, Freude und Erotik, die Gunst der Stunde, der Zufall und das Pech machen den Reiz von Wettkampf-, Geschicklichkeits- und Kraftspielen, von Versteck- und Weglauf- wie auch von Denk-, Gesellschafts- und Regelspielen aller Art aus. Glücksspiele in Lotterie oder Casino, Los- und Wettspiele scheinen für manche Menschen sogar einen ganz besonderen Reiz zu haben. Die Erfindung des Würfelspiels wird Hermes Mercurius zugeschrieben, ebenso die der Orakelspiele wie das Werfen von Stäben oder von Losen. Es ist nicht immer leicht, in Kontakt mit der spielerischen Fantasie des „Homo Ludens“ zu kommen. Abwege und Täuschungen sind, wie überall, wo Hermes ins Spiel kommt, nicht zu vermeiden. Er ist Gaukler, Taschenspieler, Herr der Wege und Kreuzungen, Psychopompos, Götterbote, Geleiter der Seelen in die Unterwelt. Wir wissen, wie leicht aus Spiel heiliger, manchmal gar tödlicher Ernst werden kann.

Spielen ist als archetypische, anthropologische Grundkonstante für die Entwicklung körperlicher und sozialer wie geistiger und kreativer Fähigkeiten des Menschen unerlässlich. Aus Spiel entsteht Kultur, es ist älter als Kultur, so der niederländische Kulturhisotriker Johan Huizinga. In den alten Zeiten kommen solch „archetypische“ Funktionen von den Göttern und werden zu ihren Ehren dargeboten, zu bestimmten Zeiten, an besonderen Orten: nicht nur die Olympischen Spiele, auch Theaterspiel, Tanz- und Musikaufführungen und die Mysterienspiele. Seit alters sind Spiel, Ritual, Tanz und Gottesdienst eng miteinander verknüpft.

Phylogenetisch und ontogenetisch stehen Spiele mit dem Körper am Anfang des Spielverhaltens, gefolgt von Spielen mit der natürlichen Umgebung. Kinder spielen aus Funktionslust, auf der Suche nach Erfahrung und weil das Spiel, obwohl keine „ernste“ Arbeit, doch wesentliche Merkmale befriedigender Arbeit oder Aufgabenstellung enthält. Erwachsene schauen und hören gerne spielerisch zu, spielen meist zur Entspannung und Zerstreuung, suchen ein Aufgehen im Tun, möchten so wie Kinder sein, „Flow“ erleben. Durch Eintauchen ins Spielen können wir uns selbst vergessen, Affekte, Emotionen und Sehnsüchte erfahren, die es ernstzunehmen und zu integrieren gilt.

Spielen heißt, sich dem Wirbel eines unbekannten Abenteuers, der Magie, der Fiktion, der Virtualität auszusetzen. Es entfesselt Libido, setzt Kraft und Kreativität frei, eröffnet neue Spielräume. Elemente des Spiels sind deshalb überall zu finden, wo es darum geht, verfestigte Strukturen zu durchbrechen, kreative Problemlösungen, innovative Prozesse in Gang zu setzen. Wenn die Seele auf der Suche ist, ermöglicht Spielen positive Regression im Sinne zeitweiliger Rückkehr ins „Kinderland der Seele“ oder der Heldenfahrt ins „Reich der Mütter“. Neues, Unbekanntes kann zutage gefördert werden, Lösungen für scheinbar nicht mehr lösbare Probleme tauchen auf.

Spielen vermag uns Sinn zu geben, auch in schwierigen Zeiten; mit Hilfe des zeitlich und räumlich begrenzten ernsthaften „Als-Ob“ und der zeitweiligen Identifikation damit gelingt es, über das „Nichts als“ des banalen Alltags hinaus zu wachsen. Es öffnet sich ein Zugang zu dem, was C. G. Jung als „das symbolische Leben“ bezeichnet. „Das gibt inneren Frieden, wenn Menschen das Gefühl haben, daß sie ein symbolisches Leben führen, daß sie Schauspieler im göttlichen Drama sind. Das ist das einzige, was dem menschlichen Leben einen Sinn verleiht; alles andere ist banal und man kann es beiseite lassen.“ (Jung, GW 18/1, § 630)

Der Augenblick, in dem das bewusst wird, ist Erleuchtung und Ent-Täuschung: "Die ganze Welt ist eine Bühne und alle Männer und Frauen sind bloß Spieler“, so Shakespeare in „Was ihr wollt“. Die Erkenntnis des Lebens als Spiel kann den Schleier der Maja zerreißen und das kosmische Spiel sichtbar werden lassen, in dem Shiva die Welt tanzt und zertanzt.
Dann wird es uns, wie den alten Chinesen, möglich, nachzuvollziehen, dass im Kosmos zur strukturierten Ordnung das Element des Spieles, der unberechenbaren Wende, der immer wieder neu zu mischenden Karten, der unbarmherzig fallenden Würfel tritt. Vielleicht liegt in dieser Ahnung eine Ursache der Spiel- und Glücksspielsucht. Wenn man die Sucht als die Suche nach etwas Wesentlichem begreift, kann sie Versuch sein, Anschluss an eine unbegreifbare "göttliche" Energie zu finden und das Spiel des Lebens ganz erfüllt mit Lust und Begeisterung zu spielen.

Hoch steht auf tief, Heiliges ist auch profan. Das Prinzip „Brot und Spiele“ war nicht erst den alten Römern bekannt. Die heutigen Spielcasinos und unser staatliches Lotto können bis zum Bau der chinesischen Mauer zurückgeführt werden. Ein dem Bingo ähnliches Spiel wurde damals zur Finanzierung der Kosten für den Bau der Großen Mauer eingeführt. Das Kaufen von Losen, auch heute noch im Wohltätigkeitssektor üblich, wurde schon früh für die Finanzierung von „öffentlichen Ausgaben“ oder auch von Kriegszügen genutzt.

Gesunde Menschen sind spielende Wesen, aber keine Spieler, denn Spielen hat seine besondere Zeit und seinen besonderen Ort, seinen schützenden Temenos. Es führt über den Alltag hinaus, ist schöpferisch und entfaltet final- prospektive Dynamik. Das Spiel als ein momentanes „Als-Ob“ zu begreifen, heißt Bewusstsein zu differenzieren. Spielen ist nichts Unverbindliches, im Gegenteil: Spiele fordern unseren „heiligen Ernst“. Wer das Spiel nicht ernst nimmt, die Regeln nicht achtet, der ist ein Spielverderber. Allerdings: Zuviel des heiligen Ernstes lässt das Spiel sterben; ganz ohne Hermes- Mercurius, den listigen und humorvollen Trickster scheint es keinen rechten Spaß zu machen. Und: Wenn es einmal brenzlig wird, wenn wir gescheitert oder zu weit gegangen sind, dann können wir uns immer noch darauf zurückziehen: Das ist doch nur ein Spiel.

In diesem Sinne würden wir uns freuen, wenn Ihnen dieses Heft Anregung und Ermutigung sein könnte, den „Homo Ludens“ in sich zu erinnern und zu erwecken und das Leben insgesamt wieder etwas spielerischer zu nehmen in Anbetracht der Auffassung Platons, dass der Mensch nur ein Spielzeug in den Händen der Götter ist und eben das „in Wahrheit das Beste an ihm“ ist (vgl. Platon, Nomoi, die Gesetze, 803 C).

Ihre
Anette und Lutz Müller
Für das Redaktionsteam
 
 
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