Heft 40: Träume
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Oktober 2018 SCHWERPUNKT: TRÄUME
- Dieter Schnocks: Was uns Träume sagen können
- Gert Sauer: Die Traumgruppe
- Sylvia Kipp: Traumforschung: Neue Entwicklungen
- Monika Rafalski: Wahrnehmen, Fühlen, Denken, Intuieren: Die vier Grundfunktionen auf der nächtlichen Bühne des Traums
- Ingrid Riedel: Die religiöse Dimension Träume, die uns unbedingt angehen
- Beate Kortendieck-Rasche: Das Erleben von Schwangerschaft und Geburt in Träumen • Wie archetypische Bilder entstehen
- Bernd Leibig: Der Traum, aus dem die Stoffe sind Träume von Wissenschaftlern
- Renate Daniel: Vom Alb und Albträumen
- Verena Kast: Der Tod im Traum
- Petra Kullmann: Kinderträume in der psychotherapeutischen Behandlung
- Jeanette Randerath: Die Nachtwandlerin Vier Träume aus der Initialphase
- Irene Berkenbusch-Erbe: Traumerfahrungen in der Literatur (bei Thomas Mann, Marie Luise Kaschnitz und Bernhard Schlink)
- Michael Seibt: Geträumte Wirklichkeit – Träume in der Bibel
- FÜR SIE GELESEN - Annette Kuptz-Klimpel: „Traum und Wirklichkeit“ in Natascha Wodins: Sie kam aus Mariupol
- FÜR SIE GESEHEN - „8 1/2“ – Aus Traumwelten geboren Ein Film von Frederico Fellini
- BERICHT - Ludger Verst: „... der neuen Schwester unsere Aufwartung machen“ Erste Etappe zur Frankfurter Gesellschaftsgründung absolviert
Editorial:
Liebe Leserinnen und Leser,
wir können mit diesem 40. Heft ein kleines Jubiläum feiern: Vor rund 20 Jahren wurde die Zeitschrift durch die C. G. Jung-Gesellschaft Köln – unter Leitung von Dieter Schnocks gegründet – seit 10 Jahren wird sie von unserem Stuttgarter Redaktionsteam betreut. Grund genug, diesmal ein explizit „jungianisches“ Thema zu wählen und den Umfang auch ein wenig zu erhöhen, gewissermaßen als Dank und kleines Geschenk an unsere treuen Leser.
Träume haben die Menschen schon seit Urzeiten tief beeindruckt. Sie waren und sind für viele Menschen der einfachste und unmittelbarste Zugang zu den tiefer liegenden Dimensionen unserer Seele und ihrer symbolischen Sprache. Träume sind die Quelle archetypischer und transpersonaler Bilder, wie sie sich in religiösen Visionen, in den Mythen, Märchen und der Kunst spiegeln.
Weil die Traumwelt ganz anderen Gesetzmäßigkeiten zu folgen scheint, als wir sie aus der Wachwelt kennen, und wir in ihr Erfahrungen machen können, die weit jenseits unserer Alltagsrealität liegen, verknüpfen sich mit der Traumwirklichkeit seit je viele Ängste und Hoffnungen. Da wir uns im Traum in fremden Gegenden aufhalten, auf den verschiedensten Weisen unterwegs sind, ja sogar fliegen können, lag früheren Kulturen der Gedanke nahe, im Traum würde sich die Seele vom Körper lösen, würde in andere, auch „jenseitige“ Welten reisen, dort mit den Seelen lebender, wie verstorbener Menschen in Beziehung treten. Andere glaubten, im Traumzustand könnten Dämonen und böse Geister vom Menschen Besitz ergreifen (Albträume und plötzliches panikartiges Erwachen).
Das Zeitempfinden im Traum ist stark verändert. Wir können den Eindruck haben, dass uns Einblicke in ferne Vergangenheiten, ja sogar in frühere Leben geschenkt werden oder dass wir visionär zukünftige Ereignisse schauen. Zeitlich getrennte Ereignisse können als eng verwobener Prozess erscheinen, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft als gleichzeitig erlebt werden.
In allen Kulturen wurden Träume auch als das Medium verstanden, durch das sich Gottheiten, das Göttliche, Engel oder andere Mächte den Menschen offenbaren und ihnen Hinweise für ihren weiteren Lebensweg und zu ihrer Gesundheit geben konnten.
Denken wir an einige biblische Gestalten, wie z. B. Josef, der dem Pharao die Träume deutete, oder an Jakob. Jakob ist auf der Flucht vor seinem Bruder Esau, den er um sein Erstgeburtsrecht betrogen hat. Als er in einer Nacht seinen Kopf auf einen Stein gebettet hat, träumt er von einer Leiter, die bis zum Himmel reicht und auf der Engel auf- und absteigen (siehe S. 86).
In der griechisch-römischen Antike gab es die Vorstellung, dass man während des Schlafs in eigens dafür eingerichteten Tempeln, zum Beispiel Epidauros in Griechenland, hilfreiche Weisungen erhalten konnte. Nach einer Fastenzeit und einer rituellen Reinigung hielt man in einem heiligen Raum auf einem besonderen Bett, der „kline“, von der sich auch unser heutiges Wort Klinik ableitet, den Tempelschlaf, die „Inkubation“, und erhoffte sich, durch einen Traum zu erfahren, woher ein Leiden kam und was man dagegen tun konnte.
Diese antike „Tempelschlaf“-Methode erinnert an heutige Therapieformen, etwa denen der tiefenpsychologischen Richtungen. In ihnen geht es oft darum, dass sich der Mensch, der unter einer seelischen Störung leidet oder sich in einer Krise befindet, in einen regressiven Prozess hinein begibt, in dem er sich mit unbewussten Fantasien, Symbolen und Träumen auseinandersetzt und auf diese Weise ein vertieftes Verständnis seiner Probleme zu gewinnen sucht.
Nach heutiger naturwissenschaftlicher Auffassung handelt es sich bei den Träumen nicht um außerkörperliche Erfahrungen oder unmittelbare göttliche Offenbarungen, sondern um neuropsychologische Denk- und Fantasievorgänge, die jede Nacht ablaufen und sich von unserem bewussten Wachdenken vor allem dadurch unterscheiden, dass in ihnen das rational-logische Prinzip zugunsten des mehr gefühlsmäßigen, assoziativ-bildhaften Denkens zurücktritt. Die Psyche ist auch im Schlaf- und Traumzustand schöpferisch tätig. Sie verarbeitet dann emotional bedeutsame Tagesreste, beschäftigt sich in oft sehr kreativer Weise mit unseren Wünschen, Konflikten und Ängsten, zeigt, wie wir uns, die Welt und unsere Mitmenschen erleben, versucht Antworten und Lösungen zu finden, balanciert Einseitigkeiten aus, integriert seelische Verwundungen und Verletzungen und vermag neue Entwicklungen anzustoßen.
Wie auch immer man die Träume versteht: Die Arbeit mit ihnen ermöglicht uns einen faszinierenden Einblick in die fantastische Welt der schöpferischen seelischen Vorgänge. Die meisten Menschen, die sich ernsthaft auf ihre Träume einlassen, erfahren sie als sehr hilfreich und anregend. Es scheint ihnen, als würden sie über ihre Träume einen einfachen und natürlichen Zugang zu den Quellen ihres seelischen Lebens finden. Mithilfe ihrer Träume vertiefen sie ihre Selbsterkenntnis, lösen Probleme, überwinden Ängste, bewältigen Lebenskrisen und fühlen sich zu neuen Taten inspiriert. Viele Künstler und Wissenschaftler haben berichtet, dass sie ihre besten Ideen und Inspirationen der autonomen unbewussten Seelentätigkeit verdanken, dass ihnen wichtige Einfälle in traum- und tranceähnlichen Zuständen kamen und dass manche ihrer Projekte, mit denen sie nicht weiterkamen, gelöst waren, nachdem sie eine Nacht darüber geschlafen hatten.
Von all diesen wundersamen Phänomenen, die uns in der Nacht geschehen können, handelt dieses Heft, und wir würden uns freuen, es würde Sie anregen, allen Ihren Träumen, den Tag- und Nachtträumen, wieder mehr Aufmerksamkeit zu schenken und sich von ihnen für ein schöpferisches Leben inspirieren zu lassen. Das wünschen Ihnen im Namen des Redaktionsteams
wir können mit diesem 40. Heft ein kleines Jubiläum feiern: Vor rund 20 Jahren wurde die Zeitschrift durch die C. G. Jung-Gesellschaft Köln – unter Leitung von Dieter Schnocks gegründet – seit 10 Jahren wird sie von unserem Stuttgarter Redaktionsteam betreut. Grund genug, diesmal ein explizit „jungianisches“ Thema zu wählen und den Umfang auch ein wenig zu erhöhen, gewissermaßen als Dank und kleines Geschenk an unsere treuen Leser.
Träume haben die Menschen schon seit Urzeiten tief beeindruckt. Sie waren und sind für viele Menschen der einfachste und unmittelbarste Zugang zu den tiefer liegenden Dimensionen unserer Seele und ihrer symbolischen Sprache. Träume sind die Quelle archetypischer und transpersonaler Bilder, wie sie sich in religiösen Visionen, in den Mythen, Märchen und der Kunst spiegeln.
Weil die Traumwelt ganz anderen Gesetzmäßigkeiten zu folgen scheint, als wir sie aus der Wachwelt kennen, und wir in ihr Erfahrungen machen können, die weit jenseits unserer Alltagsrealität liegen, verknüpfen sich mit der Traumwirklichkeit seit je viele Ängste und Hoffnungen. Da wir uns im Traum in fremden Gegenden aufhalten, auf den verschiedensten Weisen unterwegs sind, ja sogar fliegen können, lag früheren Kulturen der Gedanke nahe, im Traum würde sich die Seele vom Körper lösen, würde in andere, auch „jenseitige“ Welten reisen, dort mit den Seelen lebender, wie verstorbener Menschen in Beziehung treten. Andere glaubten, im Traumzustand könnten Dämonen und böse Geister vom Menschen Besitz ergreifen (Albträume und plötzliches panikartiges Erwachen).
Das Zeitempfinden im Traum ist stark verändert. Wir können den Eindruck haben, dass uns Einblicke in ferne Vergangenheiten, ja sogar in frühere Leben geschenkt werden oder dass wir visionär zukünftige Ereignisse schauen. Zeitlich getrennte Ereignisse können als eng verwobener Prozess erscheinen, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft als gleichzeitig erlebt werden.
In allen Kulturen wurden Träume auch als das Medium verstanden, durch das sich Gottheiten, das Göttliche, Engel oder andere Mächte den Menschen offenbaren und ihnen Hinweise für ihren weiteren Lebensweg und zu ihrer Gesundheit geben konnten.
Denken wir an einige biblische Gestalten, wie z. B. Josef, der dem Pharao die Träume deutete, oder an Jakob. Jakob ist auf der Flucht vor seinem Bruder Esau, den er um sein Erstgeburtsrecht betrogen hat. Als er in einer Nacht seinen Kopf auf einen Stein gebettet hat, träumt er von einer Leiter, die bis zum Himmel reicht und auf der Engel auf- und absteigen (siehe S. 86).
In der griechisch-römischen Antike gab es die Vorstellung, dass man während des Schlafs in eigens dafür eingerichteten Tempeln, zum Beispiel Epidauros in Griechenland, hilfreiche Weisungen erhalten konnte. Nach einer Fastenzeit und einer rituellen Reinigung hielt man in einem heiligen Raum auf einem besonderen Bett, der „kline“, von der sich auch unser heutiges Wort Klinik ableitet, den Tempelschlaf, die „Inkubation“, und erhoffte sich, durch einen Traum zu erfahren, woher ein Leiden kam und was man dagegen tun konnte.
Diese antike „Tempelschlaf“-Methode erinnert an heutige Therapieformen, etwa denen der tiefenpsychologischen Richtungen. In ihnen geht es oft darum, dass sich der Mensch, der unter einer seelischen Störung leidet oder sich in einer Krise befindet, in einen regressiven Prozess hinein begibt, in dem er sich mit unbewussten Fantasien, Symbolen und Träumen auseinandersetzt und auf diese Weise ein vertieftes Verständnis seiner Probleme zu gewinnen sucht.
Nach heutiger naturwissenschaftlicher Auffassung handelt es sich bei den Träumen nicht um außerkörperliche Erfahrungen oder unmittelbare göttliche Offenbarungen, sondern um neuropsychologische Denk- und Fantasievorgänge, die jede Nacht ablaufen und sich von unserem bewussten Wachdenken vor allem dadurch unterscheiden, dass in ihnen das rational-logische Prinzip zugunsten des mehr gefühlsmäßigen, assoziativ-bildhaften Denkens zurücktritt. Die Psyche ist auch im Schlaf- und Traumzustand schöpferisch tätig. Sie verarbeitet dann emotional bedeutsame Tagesreste, beschäftigt sich in oft sehr kreativer Weise mit unseren Wünschen, Konflikten und Ängsten, zeigt, wie wir uns, die Welt und unsere Mitmenschen erleben, versucht Antworten und Lösungen zu finden, balanciert Einseitigkeiten aus, integriert seelische Verwundungen und Verletzungen und vermag neue Entwicklungen anzustoßen.
Wie auch immer man die Träume versteht: Die Arbeit mit ihnen ermöglicht uns einen faszinierenden Einblick in die fantastische Welt der schöpferischen seelischen Vorgänge. Die meisten Menschen, die sich ernsthaft auf ihre Träume einlassen, erfahren sie als sehr hilfreich und anregend. Es scheint ihnen, als würden sie über ihre Träume einen einfachen und natürlichen Zugang zu den Quellen ihres seelischen Lebens finden. Mithilfe ihrer Träume vertiefen sie ihre Selbsterkenntnis, lösen Probleme, überwinden Ängste, bewältigen Lebenskrisen und fühlen sich zu neuen Taten inspiriert. Viele Künstler und Wissenschaftler haben berichtet, dass sie ihre besten Ideen und Inspirationen der autonomen unbewussten Seelentätigkeit verdanken, dass ihnen wichtige Einfälle in traum- und tranceähnlichen Zuständen kamen und dass manche ihrer Projekte, mit denen sie nicht weiterkamen, gelöst waren, nachdem sie eine Nacht darüber geschlafen hatten.
Von all diesen wundersamen Phänomenen, die uns in der Nacht geschehen können, handelt dieses Heft, und wir würden uns freuen, es würde Sie anregen, allen Ihren Träumen, den Tag- und Nachtträumen, wieder mehr Aufmerksamkeit zu schenken und sich von ihnen für ein schöpferisches Leben inspirieren zu lassen. Das wünschen Ihnen im Namen des Redaktionsteams
Ihre
Anette und Lutz Müller
Anette und Lutz Müller
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