Heft 48: Sinn und Zweifel
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Heft Nr. 48 • Oktober 2022 • SCHWERPUNKT: SINN UND ZWEIFEL
Inhalt (Auszug):
Ursula Wirtz: Woher? Wohin? Wozu? – Wege zum Sinn
Kristina Schellinski: Sinn suchen – da, wo er ist
Ulrich Schäfle: Vom „Gott in der Seele“ und vom „Gefühl strömenden Lebens“
Theodor Seifert: Schöpfung – Erhaltung – Zerstörung
Felice Alimé: Bilder meiner Seele – Bilder aus dem Unbewussten
Rainer Funk: Macht der Ödipus-Komplex Sinn?
Eric Pfeifer: Viktor E. Frankl: Logotherapie und Existenzanalyse als sinnorientierte Psychotherapie
Miriam Ehret: Carl Rogers meets C. G. Jung
Barbara Wild: Humor als Hilfe bei der Sinnsuche
Luise Reddemann: „Mitten im Leben sind wir die Seinen“
Alfred Messmann: Christa Wolfs Leibhaftig und das „Rätsel unserer Existenz“
Irene Berkenbusch-Erbe: Elia zwischen Hochgefühl und Depression in Paulo Coelhos Roman Der fünfte Berg
BIOGRAFIE UND GESELLSCHAFT
Silke Maier-Witt: Sinn und Zweifel
Matthias Gabriel: Zwischen Gewissheit und Zweifel | Orientierung im Nebel von Ideologie und Verschwörungstheorien
Joachim v. Luxburg: Rudolf Daur – ein visionärer Brückenbauer
FÜR SIE GESEHEN
Dieter Volk: Neruda – ein changierendes Spiel zwischen Realität und Fiktion
Dieter Volk: Neruda – ein changierendes Spiel zwischen Realität und Fiktion
Editorial:
Liebe Leserinnen und Leser,
Sigmund Freud äußerte sich seinerzeit naturwissenschaftlich-nüchtern zur Frage nach dem Lebenssinn. Er meinte, dass man, wenn man nach dem Sinn und Werte des Lebens frage, krank sein müsse, da man offenbar unbefriedigt sei (sonst würde man die Frage nicht stellen). Die Philosophen des Existenzialismus gingen von der Sinnlosigkeit und Absurdität des Daseins aus, und auch C. G. Jung war am Ende seines Lebens in seinem Urteil zurückhaltend:
Wahrscheinlich ist, wie bei allen metaphysischen Fragen, beides wahr: Das Leben ist Sinn und Unsinn, oder es hat Sinn und Unsinn.
Jung/Jaffé, Erinnerungen, 1962, S. 360
Jung/Jaffé, Erinnerungen, 1962, S. 360
Wenn man sich nun aber die großen Themen des Werkes von C. G. Jung anschaut, sieht man, dass sie alle mehr oder weniger um die Frage nach dem Sinn kreisen. Ähnlich wie Alfred Adler und auch spätere Psycholog:innen z. B. der Humanistischen Psychologie, sah er im Menschen eine evolutionäre, final-prospektive Entwicklungstendenz in Richtung eines umfassenderen Ein- heitsbewusstseins und einer Entwicklung zur Ganzheit wirken.
Dieser so von ihm benannte Individuationsprozess zielte auf die Verwirklichung des SELBST, einer nie ganz und endgültig zu realisierenden schöpferischen Vereinigung der Polaritäten un- serer Existenz. Ein Symbol für diese Einheit von Makrokosmos und Mikrokosmos, Geist und Materie, Bewusstem und Unbewusstem sah er in den Mandala-Symbolen, den Kreis-Quadrat-Gestaltungen, die sich in vielen Kulturen finden lassen (vgl. auch S. 8)
Von allen Seiten – geistes- und naturwissenschaftlich, symbolisch und konkret, historisch und gegenwartsbezogen – umkreiste er dieses eine Thema.
Was Jung an vielen Stellen noch sehr vorsichtig andeutete, lässt sich heute – mehr als ein halbes Jahrhundert nach ihm – deutlicher benennen. Unsere Teleskope reichen fast bis an den Ursprung des Universums, unsere Mikroskope lassen uns die erstaunliche Welt der Quantenenergien und des genetischen Codes erahnen und die Psycho-Neurowissenschaften machen uns die konstruktivistische Meisterleistung unseres Gehirns bewusst, durch die uns die Welt und wir selbst darin als virtuelle Gestaltungen erscheinen.
So können wir heute, wie noch zu keiner Zeit unserer Geschichte, das „Mysterium Coniunctionis“, die Komplexität und Verwobenheit, die Einheit der Welt, den Unus mundus deutlich erkennen: Wir sind Teil eines unfassbar großen hochenergetischen, weitestgehend unbekannten Universums, wir sind Teil einer milliardenjahrelangen Evolution und diese gipfelt in unserem Bewusstsein, das uns zeigt: „Ich bin jetzt hier da. Du bist jetzt hier da. Die Welt ist jetzt hier da. Wir alle gehören zusammen in einen geheimnisvollen Prozess, dessen Sinn und Ziel wir zwar nicht wissen können, für den es sich aber lohnt, sich so gut es uns möglich ist, einzusetzen und ihn zu fördern.“
Es scheint an der Zeit zu sein, dass der Homo deus, wie ihn Yuval Harari nennt, nicht nur seine auch sehr bedrohlichen Möglichkeiten der künstlichen Intelligenz erweitert, sondern auch zur Entfaltung seines eigenen inneren Potenziale erwacht. Indem wir unsere oft noch sehr kindliche Projektion auf äußere göttliche Kräfte und Mächte zurücknehmen, können wir erkennen: Wir selber sind – was östliche und westliche Mystiker:innen schon andeuteten – „göttliche“ Wesen, und allein wir sind es, die jetzt aktiv und bewusst die Verantwortung für die weitere Evolution, die Erde und die Zukunft zu übernehmen haben. Es sei denn, es gibt doch Aliens, die uns rechtzeitig retten...
Dass wir eine sinnerfüllte Stellung in unserem kleinen wie im großen Seinsprozess finden, dass wünschen wir Ihnen und uns ganz herzlich,
Für das Redaktionsteam
Ihre Anette und Lutz Müller
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